Ich hatte heute die Ehre in der Vormittagsvorstellung der Veranstaltung „Gegen das Vergessen“ reden zu dürfen.
Hier der Redetext:
heute sind wir hier, um gemeinsam innezuhalten – und zwar aus einem wirklich wichtigen Grund. Der 27. Januar vor 80 Jahren war ein Tag, der die Welt verändert hat. An diesem Tag wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Ein Ort, an dem Millionen Menschen auf grausamste Weise gefoltert und ermordet wurden, nur weil sie Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti, Homosexuelle, politische Gegner waren, oder sonst wie nicht in die Nazi-Ideologie passten. Dieser Tag steht für das Ende von unfassbarem Leid – aber er erinnert uns auch daran, dass so etwas nie wieder passieren darf.
Um es einmal deutlicher zu machen, was das bedeutete, möchte ich einen kleinen Ausschnitt aus dem Zeugenbericht des jüdischen Arztes Miklos Nyiszli lesen. Als Pathologe arbeitete er unter Josef Mengele im Krematorium 1 im sogenannten Sonderkommando, wo er das unvorstellbare Leid der Opfer dokumentierte. Nyiszli, traf nach dem Krieg seine Familie wieder und wurde zu einem der wichtigsten Zeugen des Holocaust, u.a. im IG-Farben Prozess. Hören wir einen Ausschnitt aus seinem Bericht „Im Jenseits der Menschlichkeit“.
Die Deportierten mussten sich entkleiden und wurden dann in einen Saal gepfercht, der bis zu 3000 Menschen fasste. Ein scharfer Befehl: »SS und Sonderkommando raus!« Nachdem draußen festgestellt ist, dass niemand fehlt, werden die Türen verschlossen, wird das Licht von außen gelöscht. Im gleichen Augenblick hört man ein Auto vorfahren. Der Wagen mit dem Roten Kreuz bremst. Ein SS-Offizier und ein Sondergruppen-Scharführer steigen aus. Der Scharführer hat vier grüne Blechdosen in der Hand. Die beiden betreten die Rasenfläche über der Halle, auf der im Abstand von dreißig Metern Betonsockel stehen. Beim ersten Sockel legen sie Gasmasken an. Dann heben sie den Deckel ab, brechen den Patentverschluss der Blechdose auf und schütten den Inhalt, eine violette, bröckelige Masse, in die Öffnung: Zyklon. Das Zyklon entwickelt Gas, sobald es mit Luft in Berührung kommt. Es fällt durch die Blechrohre in den unterirdischen Raum. Das Gas entweicht sofort durch die Löcher der Säulen und füllt den Raum unten in Sekundenschnelle. Zyklon tötet zuverlässig innerhalb von fünf Minuten. Die Gas-Scharfrichter warten noch weitere fünf Minuten, um ihrer Sache ganz sicher zu sein. Sie zünden sich Zigaretten an und steigen dann wieder in ihr Auto. Fast dreitausend unschuldige Menschen haben sie innerhalb von wenigen Minuten umgebracht.
Wir sagen: Nie wieder! Und heute, am 30. Januar, denken wir an den Anfang dieser dunklen Zeit. Genau heute vor 92 Jahren wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Damit begann die Beseitigung der Demokratie. Das passierte Schritt für Schritt. Erst ein bisschen Ausgrenzung hier, dann ein bisschen Schweigen da – und irgendwann gab es keinen Widerstand mehr. Nur anderthalb Jahre nach der sogenannten Machtübernahme durch die Nazis war Deutschland eine Diktatur.
So etwas darf nie wieder passieren und wir alle dürfen das nicht zulassen.
Ich will euch ein Zitat von Martin Niemöller mitgeben. Niemöller war ein evangelischer Pastor, der selbst erst spät begriffen hat, wie gefährlich das Nazi-Regime wirklich war. Am Ende hat er sich gegen die Nazis gestellt und wurde dafür ins Konzentrationslager Buchenwald gesperrt. Mit viel Glück überlebte er. Martin Niemöller sagte:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Das ist eine wichtige Lektion: Schweigen bringt uns nicht weiter. Wegsehen bringt uns nicht weiter. Nur gemeinsam, wenn wir laut sind, wenn wir Haltung zeigen, können wir verhindern, dass Hass und Gewalt wieder Platz finden.
Denn, wie es der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 gesagt hat:
„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“
Und mal ehrlich: Wenn wir die Augen aufmachen, sehen wir doch, dass der Hass schon wieder da ist. Oder war er vielleicht nie wirklich weg?
Menschen, die sich z.B. dafür stark machen, Migrantinnen und Migranten aus Deutschland einfach so auszuweisen, zu deportieren, obwohl sie hier integriert sind und sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, geben vor, ihre Meinung sei Recht – dabei predigen sie nichts als Spaltung und Gewalt.
Sie stellen sich damit auch gegen unser Grundgesetz in dem es ganz zu Anfang heißt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar!“.
Wir dürfen so etwas nicht zulassen! Nie wieder! Auschwitz ist ein Teil unserer Geschichte.
Und wie Bundespräsident Joachim Gauck es 2015 gesagt hat:
„Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz.“
Das heißt nicht, dass wir ewig in der Vergangenheit leben sollen. Es heißt, dass wir Verantwortung haben – hier und jetzt.
Gerade deshalb dürfen wir nicht schweigen, wenn Leute wie ein namentlich bekannter Mitarbeiter zweier Landtagsabgeordneter der rechtsextremen Fraktion im Baden-Württembergischen Landtag, in einem Facebook-Chat den menschenverachtenden Spruch raushaut:
„Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“
Solche Aussagen sind einfach nur abscheulich. Wer das ernst meint oder feiert, hat nicht verstanden, was Verantwortung und Menschlichkeit bedeuten. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir uns gegen solchen Hass stellen – mit aller Entschlossenheit.
Ihr habt das vergangene Woche gezeigt. Am 24. Januar gab es in Elmshorn eine Demonstration für Demokratie – und viele von euch waren dabei. Das war stark. Ihr habt gezeigt, dass ihr für die Werte einsteht, die wirklich zählen:
Respekt, Toleranz, Freiheit.
Und jetzt kommt der nächste Schritt: Am 23. Februar sind Wahlen. Wenn ihr wählen dürft, dann geht hin! Jede Stimme zählt – und eure erst recht.
Eines sollte uns allen klar sein: „Nie wieder“ heißt nicht nur, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Es heißt vor allem, im Hier und Jetzt aktiv zu sein. „Nie wieder ist jetzt.“
Zum Schluss möchte ich euch allen Danke sagen. Danke an euch, liebe Schülerinnen und Schüler, dass ihr so klar Haltung zeigt. Danke an die Lehrkräfte, die euch unterstützen. Ein riesiges Dankeschön an: Anna Haentjens, die künstlerische Leitung, die Studio-AG der KGSE um Jens Bernhard, Michael Noch von der AG Stolpersteine in Elmshorn und Frau Sommer von der Freien Waldorfschule Elmshorn. Ihr alle habt dafür gesorgt, dass diese Veranstaltung nicht nur eine Gedenkminute ist, sondern ein Statement.
Lasst uns zum Abschluss das Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“ singen.
Dietrich Bonhoeffer, der dieses Lied geschrieben hat, war einer, der im Widerstand gegen die Nazis gekämpft – und mit seinem Leben dafür bezahlt hat. Sein Mut inspiriert uns noch heute.
Danke, dass ihr da seid. Danke, dass ihr laut seid. Danke, dass ihr die Zukunft gestaltet.
Ich bin sehr stolz auf euch und dankbar, heute dabei sein zu dürfen.