Meine Begrüßung und das Totengedenken:
Ein herzliches Willkommen allen Anwesenden zur Gedenkstunde für den Frieden am heutigen Volkstrauertag.
Ein Dank allen Beteiligten für die würdige Ausgestaltung dieser Gedenkstunde.
Der Volkstrauertag ist mehr als 100 Jahre alt – und hat seit Februar 2022 eine erschütternde Aktualität gewonnen: In Europa tobt ein Angriffskrieg.
Städte und Landschaften werden dem Erdboden gleichgemacht, Menschen sind auf der Flucht, die Zahlen der Toten und Verwundeten steigen mit jedem Tag.
Am 7. Oktober dieses Jahres ist ein weiterer Krieg hinzugekommen.
Die Hamas hatte Israel angegriffen.
Letzte Woche feierte die Jüdische Gemeinde Elmshorn das 20jährige Jubiläum ihrer Wiedergründung. Ein schöner Anlass!
Dass jüdisches Leben nach der Shoah wieder Fuß fasst und in unserer Gesellschaft dazugehört, ist alles andere als selbstverständlich.
Doch der Festakt war überschattet von Berichten über Bedrohungen und Angriffe, die jüdische Menschen in Deutschland wieder erleben.
Er konnte nur unter Polizeischutz stattfinden.
Es ist unerträglich, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wieder um ihre Freiheit und Sicherheit fürchten müssen.
Jüdinnen und Juden haben das Recht auf ein Leben in Frieden und Sicherheit, ohne Angst vor Hass oder Verfolgung.
Es ist erschütternd und beschämend, dass es allein in Schleswig-Holstein seit Beginn des Jahres über 40 Angriffe auf Jüdinnen und Juden gab.
So rufen wir:
Nie wieder Diskriminierung, Anfeindungen und Antisemitismus gegen jüdisches Leben in Deutschland.
Nie wieder ist jetzt!
In Artikel 1 unseres Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wagen wir einen Sprung, gut 80 Jahre zurück.
Wir befinden uns im von Deutschland besetzten Frankreich und treffen auf Denise Bardet.
Sie war Grundschullehrerin in der französischen Gemeinde Oradour-sur-Glane.
Gern las sie Goethe, Schiller, Kleist und Heinrich Mann und vermittelte ihren Schülerinnen auch in Zeiten des Krieges ihre Bewunderung für die deutsche Literatur.
Unlängst hatte sie, ihrer Mutter zuliebe, die Stelle an der örtlichen Mädchenschule angenommen.
Am 10. Juni 1944, wenige Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, wurde Denise 24 Jahre alt.
Ihren Geburtstag wollte sie am Abend mit ihren Kolleginnen feiern.
Jedoch umstellte in den Nachmittagsstunden eine SS-Kompanie das Dorf und ermordete die Männer, Frauen und Kinder.
Oradour-sur-Glane wurde zum Schauplatz des grausamsten Verbrechens der deutschen Besatzer in Westeuropa.
In der Kirche des Dorfes wurden Denise Bardet, die 7- bis 8-jährigen Mädchen ihrer 2. Klasse und nahezu alle Frauen und Kinder des Dorfes mit weißem Phosphor erstickt, verbrannt oder erschossen.
Gegenüber des Altars, am Rande des Kirchenschiffs, hing ein Gedenkstein an die Toten der Gemeinde aus dem Ersten Weltkrieg.
Die Täter schossen auch auf die Erinnerungstafel.
Die Einschusslöcher sind bis zum heutigen Tag zu sehen. Das Dorf wurde vollständig zerstört.
Solche Gräueltaten dürfen nie wieder geschehen, nie wieder von Deutschland ausgehen.
Lasst uns erinnern und mahnen, indem wir die Worte des Totengedenken hören, das anlässlich der Volkstrauertage von Bundespräsident Theodor Heuss 1952 eingeführt, und immer wieder aktualisiert wurde, zuletzt 2021 durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.
Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
Willy Brandt:
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts!
Danke, dass Sie heute dabei waren.